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Gesellschaftskur

Aus Stadtwiki Baden-Baden

Die Gesellschaftskur ist ein Phänomen, das im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewann. Bei dieser Form der Kur rückten die medizinischen Aspekte der Kur in den Hintergrund. Im Vordergrund standen das Zusammentreffen mit anderen Vertretern des Adels und reichen Bürgertums, sowie die Unterhaltung und Freizeitgestaltung. Die Gesellschaftskur entwickelte sich überwiegend an Orten an denen bereits eine gewisse Kurtradition bestand. Die medizinischen Kurangebote fehlten somit nicht gänzlich und wurden teilweise als Vorwand für die Kurreise genutzt.

Entwicklung der Gesellschaftskur[Bearbeiten]

Das Phänomen der Gesellschaftskur in den europäischen Kurstädten und Modebädern des 19. Jahrhunderts ist äußerst vielschichtig und muss vor dem Hintergrund der großen Veränderungen im 19. Jahrhundert betrachtet werden. Die fortschreitende Verbürgerlichung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert spielte eine besondere Rolle. Immer mehr Bürger kamen in den Genuss von Privilegien, die zuvor der herrschenden Klasse vorbehalten waren, wie zum Beispiel dem Privileg der Freizeitgestaltung, des Reisens und der Siedlungs- und Landschaftsgestaltung. Im Zuge der Industrialisierung wurde das Reisen leichter, zum Beispiel durch den Bau des Eisenbahnnetzes. Die Verstädterung und die Verschlechterung der Lebensumstände durch Umweltverschmutzung in der Nähe der Industriebetriebe waren zugleich auch Auslöser für die temporäre Stadtflucht der wohlhabenderen Bevölkerungsschichten. Diese trafen sich zunehmend häufiger im Sommer in europäischen Kurstädten und bevorzugten solche Orte, an denen auch viele weitere Personen von Rang und Namen anzutreffen waren. Die Kurstädte reagierten auf die steigende Anzahl zahlungskräftiger Gäste. In den bedeutenden Kurstädten bildete sich eine besondere Infrastruktur heraus. Kurhäuser, Musikpavillons, Theater, Spielcasinos, Pferde- und Hunderennbahnen dienten der Unterhaltung und großzügige Parkanlagen der Entspannung der Gäste. Luxeriöse Hotels boten dem Kurgast auch bei längeren Aufenthalten sämtliche Annehmlichkeiten und waren technisch häufig auf dem neuesten Stand. Die Kurstädte standen dabei in zum Teil harten Konkurrenzkampf zueinander und machten durch international angelegte Werbekampagnen auf sich aufmerksam. Die Städte wurden zunehmend durch Kolonien von internationalen Gastbürgern mitgeprägt.

Bedeutung der Gesellschaftskur[Bearbeiten]

Von besonderer Bedeutung ist die Gesellschaftskur als Experimentierfeld für internationales, ständeübergreifendes Zusammenleben. In den Kurstädten kamen Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen und lebten für einige Zeit gemeinsam in einem kleinen Mikrokosmos. Fernab der Heimat unterlagen die Gäste nicht den gleichen gesellschaftlichen Zwängen. So konnten andere Formen des Zusammenlebens erprobt werden, bei der die Herkunft zweitrangig war. Diese offene Atmosphäre in den Kurstädten wurde auch von der Politik wahrgenommen und bewusst eingesetzt. Hier konnten sich politische Parteien treffen und zwanglose, vertrauliche Verhandlungen führen. Im Französischen gibt es für diese Art der politschen Verhandlung den Begriff diplomatie thermale. Künstler fanden in denen von der Gesellschaftskur geprägten Orten die nötige Inspiration für ihre Werke. Gleichzeitig fanden die Künstler hier auch zahlreiche Käufer und Gönner. Darüber hinaus ist die Gesellschaftskur unter anderem auch für die Tourismus-, Freizeit- und Sportgeschichte wichtig.

Baden-Baden als Bühne der Gesellschaftskur[Bearbeiten]

Baden-Baden entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem Zentrum der internationalen Gesellschaftskur in Europa. Das Kurviertel mit dem Kurhaus vor den Toren der Stadt, auf der anderen Uferseite der Oos liegt weit von den Thermalquellen am Florentinerberg entfernt. Die Wahl dieses Orts macht klar, dass es in Baden-Baden mehr um Unterhaltung und Vergnügen und weniger um medizinische Aspekte der Kur ging. Zentrum des Kurbetriebs war das Kurhaus und das darin untergebrachte Spielcasino. Die Einnahmen der Spielbank ermöglichten die Finanzierung eines umfangreichen Unterhaltungsprogramms und des weiteren Ausbaus der Infrastruktur. Die Anwesenheit zahlreicher prominenter Persönlichkeiten ist durch gedruckte Gästelisten überliefert. Zahlreiche Gastbürger siedelten sich in Baden-Baden an und prägten das Stadtbild durch ihre Villen an den Hängen des Oostals und gestifteten Gebäuden. Die Stadt hat sich bis heute viel von ihrem materiellen und immateriellen Kulturerbe erhalten und bewirbt sich derzeit im Verbund mit anderen europäischen Kurstädten um das Prädikat UNESCO Weltkulturerbe (Stand 2013).

Quellen[Bearbeiten]

  • Studie Playgrounds of Europe - Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts von Dr. Andreas Förderer, 2010